Hermann Stenner: Stichjahr 1912
23.8.2020–17.1.2021

Die Kabinettausstellung widmete sich mit 22 Arbeiten der rasanten künstlerischen Entwicklung des 1891 in Bielefeld geborenen Kunststudenten, die in diesem Jahr vornehmlich durch Reisen befeuert wurde.

Der Ausstellungstitel erweist Florens Deuchlers umfassender, konziser Darstellung des Epochenjahrs 1912 in Kunst und Musik Reverenz. Wie sehr sich dies Jahr in der Terminologie von Hans Blumenberg auch als »Epochenschwelle« erwies, zeigt Deuchlers Panorama all der kulturellen Errungenschaften und ihrer Wirkungen in und um 1912. Am Anfang steht eine Erschütterung: Die Titanic kollidiert am 14. April 1912 mit einem Eisberg vor Neufundland, 1.513 Menschen kommen ums Leben. Arnold Schönbergs »Pierrot Lunaire« wird am 16. Oktober 1912 in Berlin uraufgeführt. Henri Matisse schließt sein Meisterwerk »L’atelier rouge« ab, Marcel Duchamp malt »Akt, eine Treppe herabsteigend«. In Berlin eröffnet die Sturm-Galerie von Herwarth Walden mit einer Ausstellung zum Blauen Reiter. Der Kubismus steht in seinem Zenit.

Zum ersten Mal sieht Stenner auf der epochalen Sonderbund-Ausstellung in Köln aktuelle Werke vor allem der französischen Avantgarde im Original.

Der Kunstaktualität folgt ein intensiver Blick in die Geschichte der christlichen Kunst in Monschau. Angeregt von Altarbildern der Kirchen sowie entsprechenden Motiven in der Malerei seines Professors Adolf Hölzel studiert Stenner deren kompositionellen Aufbau.

Ende August reist er für vier Wochen nach Paris. Stenner ist überwältigt von den vielfältigen neuen Eindrücken der Kunstmetropole mit ihrem Lebenstempo und den prachtvollen Boulevards. Seine Zeichnungen halten in kubistisch-kantigen Lineaturen Eindrücke aus Theatern und Varietés, aber auch aus dem Alltagsleben fest.

Nach zwei intensiven Semestern bei Hölzel an der Stuttgarter Kunstakademie, dem Besuch der Sonderbund-Ausstellung und der Weltstadt Paris hatte Stenner sowohl die alte als auch die neueste Kunst geradezu inhaliert. Die Ende des Jahres entstandenen Zeichnungen mit ihrer Hinwendung zur kubistischen Abstraktion markieren seinen Anteil an den europäischen Avantgardebewegungen, die die Wirklichkeitsabbildung zugunsten einer Autonomie der Kunst aufgaben.

Einladungen wie etwa die zur Expressionisten-Ausstellung der Galerie Ernst Arnold in Dresden 1913 sowie der Auftrag zur Ausführung der Wandbilder für die Vorhalle des Hauptgebäudes der Kölner Werkbundausstellung 1914 (gemeinsam mit Willi Baumeister und Oskar Schlemmer) zeigen die Netzwerke, in denen sich Hermann Stenner immer selbstverständlicher bewegte. Zugleich markieren sie den Weg, den seine Karriere hätte weiter nehmen können, wenn ihm ein günstigeres Schicksal beschieden worden wäre: »Er wäre einer der besten Maler Deutschlands geworden.« (Willi Baumeister, 1950)

 

Parallel wurde die Ausstellung »Josef Schulz: Spectrum. Architektur. Landschaft. Fotografie.« gezeigt.

 

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Abbildung: Hermann Stenner: Frau auf dem Sofa (Detail), 1912, Kohle, Tusche, Ölfarbe, Zeichenpapier, 19,5 × 19,5 cm, Kunsthalle Bielefeld, © Foto: Ingo Bustorf